Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, mag in den Augen der Welt mit Pablo Escobar verknüpft sein. Ihre Bewohner aber erfinden die einst gefährlichste Stadt der Welt neu. Mit diesen Reisetipps entdeckt Ihr die hippsten Ecken von Medellín ganz entspannt
„PffffPffffPffff“ – zum Geräusch schwebt ein leichter Sprühregen ins Innere der Gondel. Ein freundlicher Herr im grünen Overall schiebt sich zur gleichen Zeit herein. Er wienert in schnellem Rhythmus durch das Gondel-Innere, wischt Sitze und Boden und versprüht duftendes Raumspray. Überall im weitläufigen Transportnetz von Medellín wird geputzt, gewischt und gesprüht, als ginge es darum, die Stadt blütenrein zu waschen.
Eine Bemerkung, die unseren Guide German Castro vor Freude strahlen lässt. „Genauso ist es ja auch! Medellín galt lange genug als dreckig, gefährlich und aggressiv. Dieses Image aufzupolieren, ist nicht einfach. Die hartnäckigsten Flecken haben wir schon beseitigt“, sagt der quirlige Englisch-Lehrer. „Die Stadt ist heute sicher, stylish und sprudelt vor neuen, innovativen Ideen. Wir sind stolz darauf, was sich bereits alles verändert hat“, legt German nach.

Unterwegs in Medellín: Die Plazuela San Ignacio
Neuer Mut für Medellín
Es ist ein Wandel, der vor zwei Dekaden noch wie ein unerreichbarer Traum hinter den Bergketten der Anden lag. Damals klebte das Label „Gefährlichste Stadt der Welt“ wie zäher Kaugummi am Image von Kolumbiens zweitgrößter Stadt, die jahrzehntelang von Drogenkartellen, Guerilla-Kämpfern der Farc und korrupten Politikern in den Dreck gezogen worden war. Richter und Polizisten wurden auf offener Straße niedergemetzelt, Menschen verschwanden spurlos und die Drogendealer lebten wie die Könige, allen voran Pablo Escobar.
Wie sich die Stadt ihre Selbstständigkeit zurückerkämpft? „Durch das Transportsystem!“ German lacht über mein verdutztes Gesicht. „Der Bau der U-Bahn 1994 war der Anfang des Neubeginns. Sie hat uns neues Vertrauen gegeben. Plötzlich wurde uns klar, dass sich auch hier die Dinge ändern können. Es war der Startschuss zu einer sozialen Revolution in Medellín.“

Medellín mag’s bunt: Hochhaus-Graffiti im Stadtviertel El Poblado
U-Bahn und Seilbahn als Rettung
„Für dich ist es nur eine U-Bahn. Sie hat aber die Psychologie unserer Stadt verändert“, sagt Pedro Silvar, der mit Mopp und Eimer am Umsteigebahnhof San Antonio die Glasscheiben säubert. Früher, so erzählt der Mittfünfziger, habe er sein Barrio, sein Stadtviertel, so gut wie nie verlassen. Wie auch?
Medellín ist so hügelig und die meisten der armen Wohngegenden sind so eng in die steil aufragenden Felswände gebaut, dass der Rest der Stadt für viele unerreichbar war. Das Barrio wurde zum Lebensmittelpunkt und dabei oft von einer Gang regiert. Ausbrechen war unmöglich. Aber dann kam die Seilbahn. „Sie wurde zu einer Brücke. Plötzlich gab es eine Anbindung an andere Viertel und damit neue Job-Optionen für mich und bessere Schulen für meine Kinder“, sagt Pedro.
Bunte Mauern in der Communa 13
Die Euphorie, die sich durch die verwinkelten Gassen, die grünen Parkanlagen und über die breiten Plazas Medellíns zieht, ist spürbar. Die Menschen blicken nach vorn. Das heißt nicht, dass die Brutalität der vergangenen Epochen vergessen oder ausradiert ist. Viele leben zudem immer noch auf engstem Raum in bitterarmen Vierteln. Medellíns Schmerz aber wird heute in Kunst, Kultur und in Form vieler Graffiti verarbeitet. Wie etwa in der Comuna 13, hoch über der Stadt. Heute ziehen hier die Touristengruppen an bunten Wandbemalungen und kleinen Ständen vorbei, die T-Shirts mit den besten Comuna-13-Motiven verkaufen.

Beliebter Treffpunkt in Medellín: Das Museo de Arte Moderno
Botero-Skulpturen am Parque Berrio
Die Lage in einem langen Tal zwischen zwei Anden-Gebirgskämmen hilft, die Metropole bei Touristen auf die „To-visit-Liste“ zu bringen. Die Provinz Antioquia ist eine fruchtbare Region, die für ihre Kaffeeplantagen, Blumenfarmen, Schmetterlinge und Orchideenzucht bekannt ist, Medellín, ihre Hauptstadt, wird dank des immer milden Klimas gern als „Stadt des ewigen Frühlings“ bezeichnet. Überall gibt es Gärten, Parkanlagen und hübsche Plätze mit Bänken, wo Gitarrenspieler Passanten zum Salsatanz auffordern. Kunst und Kultur wird zelebriert.
Am Parque Berrio ragen die breiten Hintern und üppigen Brüste von 23 Bronzeskulpturen Fernando Boteros, dem berühmtesten Künstler Lateinamerikas und Medellíns berühmtestem Sohn, in den blauen Himmel. So manch einer rubbelt kichernd an ganz bestimmten (und sehr polierten) Stellen der Kunstwerke … – das soll ewiges Verliebtsein garantieren.

Restaurant „La Chagra“ in Medellín: Chefkoch Juan Santiago Gallego setzt auf Regenwaldküche
Medellín schick: Viertel El Poblado
In Medellín pulsieren zunehmend Kreativität, Stil und Innovation. In der schicken Nachbarschaft El Poblado etwa werden Designer-Outfits ausgeführt. Im nahen Hostelviertel hängt abends ein Ballermann-Gefühl über den knallvollen Bars. Die breiten, modernen Promenaden des Parque de los Deseos (Park der Wünsche) sind hippe Treffpunkte mit Cafés, Restaurants und Open-Air-Konzertbühne.
Überall scheint etwas zu passieren. „Vor allem kommen viele wieder zurück in ihre Heimat“, sagt Barista Yeison im „Pergamino Café“ und zaubert filigrane Blüten in den Milchschaum. Früher zog es die Jugend zum Studium so weit weg wie möglich, heute bringe ein neuer Stolz Auswanderer zurück. Ideen brodeln in Start-ups, junge Künstler stellen ihre Werke in trendigen Galerien aus, Tanz, Musik und Gesang werden in neue Formen gegossen. 2013 wurde Medellín vom Urban Land Institute sogar als „innovativste Stadt der Welt“ ausgezeichnet.

Plaza Botero: Hinter der Botero-Skulptur ragt der Palacio de la Cultura Rafael Uribe Uribe auf
„El Cielo“ glänzt mit Molekular-Küche
Vor allem die Gastro-Szene boomt. Carmen Angel und ihr Ehemann Rob Pevitts tragen seit mehr als einer Dekade maßgebend dazu bei. Mittlerweile führt das Paar, das sich in der Culinary School in Kalifornien kennen und lieben gelernt hat, in Carmens Heimat vier Restaurants mit unterschiedlichen Küchenkonzepten. Von selbst gebackenem Brot über Steak bis zu Sushi ist alles dabei.
Einen Schritt weiter geht Celebrity-Chef Juan Manuel Barrientos aka Juanma im schicken „El Cielo“ ein paar Straßen nördlich. Seine Molekular-Cuisine nimmt einen mit auf eine Reise durch Kolumbien. Lokale Zutaten wie Mais, Kartoffeln oder frischer Lachs kommen als kleine Wunderwerke in Schaum-, Püree- oder Kracker-Form auf den Tisch. Die Highlights sind jedoch die „Sensual Experiences“, kulinarische Intermezzos für die Sinne, darunter die Schokoladentherapie: Erst wird warme flüssige Schokolade am Tisch über die Hände gegossen, dann fein geriebener Kaffee und Zucker zu einem Peeling hinzugefügt.

Comuna 13: Früher gefährlichster Stadtteil von Medellín, heute kommen Touristen wegen der Graffitis
Cerro Nutibara: Tolle Aussicht über Medellín
Prall gefüllt mit Kolumbiens Köstlichkeiten machen wir uns auf den Weg zu Medellíns beliebtestem Aussichtspunkt, dem Cerro Nutibara. Hier oben ist die Luft noch etwas dünner als im Rest der Stadt, die immerhin auf 1.495 Meter Höhe liegt. Die Rundum-Vista ist die Schnappatmung allerdings wert. Am Fuß des Parks plärrt laute Salsamusik aus Radioboxen. Wie an so vielen Stellen der Stadt wird auch hier spontan getanzt, in diesem Fall mit schnellen Drehungen und kreisenden Hüften – wesentlich lasziver als die Tangostunde im „Salón Málaga“. „Wir wollen eine saubere Stadt“, sagt German mit im Takt schnippenden Fingern. „Unser Salsatanz wird aber sicher immer ein klein wenig schmutzig bleiben. Und das ist völlig in Ordnung.“